Immundefekte

Über 500 Krankheitsbilder
sind bekannt – und es werden
jährlich mehr.

Immunsystem

Das Immunsystem ist ein ausgeklügeltes und komplexes System, das den Körper vor gefährlichen Keimen wie Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten schützt. Dabei arbeiten das angeborene und das im Laufe des Lebens erworbene Immunsystem eng zusammen und wehren gemeinsam unerwünschte Eindringlinge ab. Um seine Aufgabe erfüllen zu können, muss das Immunsystem auch unterscheiden, was zum eigenen Körper gehört und was ein Fremdkörper ist.

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Bei einem Immundefekt – auch Immunschwäche oder Immundefizienz genannt – ist dieses natürliche Abwehrsystem geschwächt oder fehlt vollständig. Es reagiert nicht oder nicht ausreichend auf das Eindringen von Krankheitserregern in den Körper. Betroffene entwickeln in einigen Fällen auch Autoimmunerkrankungen, bei denen das Abwehrsystem fälschlicherweise gesunde Zellen angreift und körpereigenes Gewebe schädigt. Harmlose Infekte können bei Menschen mit einem Immundefekt lebensbedrohlich werden oder ohne angemessene Therapie zu chronischen Organschäden führen.

Angeborene Immundefekte

Immundefekte sind angeboren (primär) oder werden als Folge äusserer Einflüsse erworben (sekundär). AIDS ist zum Beispiel eine sekundäre Erkrankung des Immunsystems, die durch das HI-Virus ausgelöst wird. Im Gegensatz zu AIDS sind angeborene Immundefekte nicht ansteckend, jedoch meistens vererblich. Primäre als auch sekundäre Immundefekte können sich bereits in der Kindheit oder auch erst im Erwachsenenalter zeigen.

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Primäre (angeborene) Immundefekte, auch «Primary Immunodeficiency Disorder» (PID) oder «Inborn Errors of Immunity» (IEI) genannt, sind seltene genetische Erkrankungen. Ihre Häufigkeit ist nicht genau bekannt, die Angaben variieren in der Regel zwischen 1:2000 bis 1:10000. In der Schweiz sind etwa 1200 Patientinnen und Patienten diagnostiziert, die Dunkelziffer liegt jedoch um einiges höher. Die Wissenschaft kennt angeborene Immundefekte seit rund 60 Jahren. Seither wurden über 500 unterschiedliche Krankheitsbilder entdeckt – und es werden jährlich mehr.

Weitere Informationen zum Immunsystem und den häufigsten Krankheitsbildern von angeborenen Immundefekten finden Sie auf der Webseite des Unversitäts-Kinderspital Zürich.

Diagnose

Durchschnittlich vergehen 9 bis 15 Jahre zwischen Auftreten von Symptomen und der Diagnose «angeborener Immundefekt». Rund 80% der Fälle bleiben unentdeckt und werden nie diagnostiziert. Mit diesen Zahlen sind oft jahre- oder lebenslange Leidensgeschichten und Odysseen von Arzt zu Arzt verbunden. Nicht selten werden Betroffene auch für Simulantinnen und Simulanten gehalten und die langwierige Suche nach einer Diagnose kann zu psychischen Problemen und in die Isolation führen.

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Dies möchte die SVAI den Betroffenen möglichst ersparen – mit Informationen zu Warnsignalen, Anlaufstellen und Therapiemöglichkeiten. Denn bei der Diagnose von angeborenen Immundefekten gilt: So früh wie möglich! Für eine wirksame Therapie ist es wichtig, dass der Körper durch Infektionen nicht bereits schwerwiegend geschädigt wurde.

Angeborene Immundefekte sind seltene Krankheiten und der medizinische Hintergrund ist äusserst komplex. Um den die Erkrankung auslösenden Gendefekt lokalisieren und eine geeignete Therapie empfehlen zu können, sind immunologische und genetische Untersuchungen erforderlich, die sich an den neusten Erkenntnissen aus der Forschung orientieren. Für eine Diagnose sollten daher erfahrene Fachärztinnen und Fachärzte für Immunologie beigezogen oder medizinische Zentren, die auf angeborene Immundefekte spezialisiert sind, aufgesucht werden.

Neugeborenen-Screening

Am 1. Januar 2019 wurde in der Schweiz das Neugeborenen-Screening auf schwere angeborene Immundefekte – schwerer kombinierter Immundefekt (SCID) und schwere T-Zell-Lymphopenie – eingeführt. Die mit einem Neugeborenen-Screening frühzeitig entdeckten kleinen Patientinnen und Patienten habe eine gute Prognose, mit einer Stammzelltransplantation geheilt zu werden. Unbehandelt könnte es bei den betroffenen Kleinkindern mit SCID oder schwerer T-Zell-Lymphopenie rasch zu lebensbedrohlichen Infektionen und ausgeprägten Wachstumsstörungen kommen.

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Weiterführende Links:
Neugeborenen-Screening Schweiz, Wissenswertes für Eltern und Fachleute

Universitäts-Kinderspital Zürich, Neugeborenen-Screening

Therapien

Angeborene Immundefekte können nur in wenigen Fällen geheilt werden. Bei einer frühzeitigen Diagnose hilft jedoch eine geeignete Therapie, die Lebensqualität wesentlich zu verbessern oder sogar Leben zu retten. So können mit einer Ersatztherapie, die fehlende Antikörper ersetzt, über 70% aller diagnostizierten Immundefekt-Erkrankungen erfolgreich behandelt werden.

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Mögliche Therapien bei angeborenen Immundefekten sind

  • die vorübergehende oder dauerhafte Einnahme von Medikamenten gegen bakterielle Infektionen (Antibiotika), virale Infektionen (Virostatika) und Pilzinfektionen (Antimykotika) zur Vorbeugung oder Bekämpfung von Infekten.
  • der Ersatz von fehlenden Antikörpern durch regelmässige intravenöse Infusionen oder subkutane Injektionen von Immunglobulinen, die aus gespendetem Blutplasma gewonnen werden.
  • in besonders schweren Fällen oder wenn andere Therapiemöglichkeiten versagen, die Transplantation von Stammzellen (früher Knochenmarktransplantation genannt) aus dem Blut eines geeigneten Spenders.
  • Gentherapien, die sich jedoch noch in einem experimentellen Stadium befinden.
  • unterstützende Massnahmen wie alternativmedizinische Therapien, Körper- und Atemtherapien oder Impfungen, die keine Lebendimpfstoffe enthalten.

Immunglobulin-Ersatztherapie
Bei vielen angeborenen Immundefekten verfügen die Betroffenen über zu wenige oder keine Antikörper. Eine Therapie mit Immunglobulinen aus dem Blutplasma gesunder Menschen kann die fehlenden Antikörper ersetzen. Die Zuführung von Immunglobulinen erfolgt entweder monatlich als Infusion über die Vene oder einmal pro Woche über das Unterhautfettgewebe (subkutan). Die subkutane Injektion hat gegenüber der venösen Infusion den Vorteil, dass sie auch zu Hause angewandt werden kann. Die zugeführten Immunglobuline können genau wie körpereigene Antikörper Erreger erkennen und Infektionen verhindern oder abschwächen.

Stammzelltransplantation
Bei einigen schweren angeborenen Immundefekten führen die Verabreichung von Immunglobulinen oder andere Therapien nicht zu einem positiven Ergebnis oder versagen vollkommen. In diesen Fällen gibt es die Möglichkeit einer Stammzelltransplantation. Diese wird aufgrund der Risiken der Behandlung nur in lebensbedrohlichen Fällen angewandt. Dabei wird das defekte Immunsystem durch das intakte Immunsystems einer passenden Spenderin bzw. eines passenden Spenders ersetzt. Mit der Stammzelltransplantation können vor allem im Kindesalter einige Immundefekte dauerhaft geheilt werden. Für schwere angeborene Immundefekte bei Kleinkindern ist eine erfolgreiche Stammzelltransplantation meistens die einzige Überlebenschance.

Gentherapie
Vielfach fehlen bei schweren angeborenen Immundefekten passende Spenderinnen oder Spender für eine Stammzelltransplantation. Nach Aussagen von Forschenden finden sich zum Beispiel in den USA nicht einmal für 20% der betroffenen Kinder, die ohne funktionierende Immunabwehr sehr früh an Infektionen sterben, ein geeigneter Spender. Hier ruhen die Hoffnungen auf sicheren Gentherapien, die sich gegenwärtig noch im Stadium klinischer Studien befinden, jedoch bereits einige vielversprechende Erfolge erzielen konnten. Mehr zu diesem Thema finden Sie in der nachfolgenden Rubrik Forschung.

Forschung

Ziel der Forschung ist es, angeborene Immundefekte rasch zu erkennen und wirksam zu behandeln. In der Erforschung der Ursachen von angeborenen Immundefekten, die oft auf ein einziges fehlerhaftes Gen zurückgehen, werden laufend Fortschritte erzielt. Zurzeit sind über 500 Defekte, die sich auf Veränderungen des Erbguts zurückzuführen lassen, bekannt. Diese Erkenntnisse sind nicht nur äusserst wertvoll bei der Suche nach neuen Therapien, sondern auch eine Erleichterung für die Betroffenen und deren Familien, die der Krankheit endlich einen Namen geben können und die Ursache der Erkrankung kennen.

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Grosse Hoffnungen ruhen auf der Erforschung neuer Behandlungsmethoden im Bereich der Gentherapien. Für Betroffene – vor allem Neugeborene und Kinder – mit einem schweren angeborenen Immundefekt kann vielfach kein passender Spender für eine Stammzelltransplantation gefunden werden. Gentherapien bieten eine Alternative. Den Betroffenen werden blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark entnommen, gentherapeutisch verändert und wieder eingepflanzt.

Bisher wurden nur wenige Immundefekte im Rahmen von Studien mit einer Gentherapie behandelt. Die Verfahren zeigten erste Erfolge beim schweren kombinierten Immundefekt (SCID) und der septischen Granulomatose, wobei jedoch ein Teil der Behandelten in früheren Studien an Leukämie erkrankten. Neue Verfahren werden derzeit mit vielversprechenden Erfolgen getestet und sind wesentlich sicherer als die erste Generation der Gentherapien.

Weiterführende Links:
RedaktionsNetzwerk Deutschland, 19.04.2019, Vielversprechende Gentherapie gegen angeborenen Immundefekt getestet

Universität Zürich, 02.05.2019, Gentherapie – Letzte Chance

Der Standard, 30.01.2018, Angeborene Immundefekte: Gentherapie als Zusatzoption

Plasmaspenden

Durch regelmässige Behandlungen mit Immunglobulinen aus dem Blutplasma gesunder Menschen können viele Kinder und Erwachsene mit einem angeborenen Immundefekt ein nahezu normales Leben führen. Plasmaspenden ersparen den Betroffenen einen endlosen, schmerzvollen Leidensweg oder retten ihnen das Leben.

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Plasmaspenden retten Leben!
Ein grosser Teil der Kinder und Erwachsenen mit angeborenen Immundefekten sind auf Plasmaspenden für Antikörper-Ersatztherapien angewiesen, deshalb: Werden Sie Plasmaspenderin oder Plasmaspender und retten Sie Leben! Weitere Informationen zur Plasmaspende finden Sie auf www.blutspende.ch, ebenso eine Liste der regionalen Blutspendedienste in der Schweiz.